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Groteske Karikaturen

Rassismusdebatte und Rechtsstaat

Die Bilder und Ereignisse der letzten Tage muten regelrecht wie eine groteske Karikatur viel beschworener und noch viel lieber geleugneter Problemlagen an: Eine Gruppe bewaffneter Polizist*innen ringt in Hamburg einen 15-jährigen Jugendlichen of Color nieder. Sie drangsalieren den minderjährigen Jungen ausgerechnet vor einer Wand, die mit „I can’t breathe“ geziert ist, den letzten Worten des von Polizisten in den USA ermordeten George Floyd. Es ist jene Hamburger Polizei der deren ehemaliger oberster Dienstherr als regierender Oberbürgermeister der Hansestadt, der heute designierte Kanzlerkandidat der zunehmend verkümmernden Sozialdemokratie, Olaf Scholz, angesichts der offensichtlich eskalativen Strategie im Umgang mit den G20-Protesten attestierte: „Polizeigewalt hat es nicht gegeben!“ Zeitgleich gehen Bilder durch die Medien, die eine Szene in Düsseldorf zeigen. Polizist*innen haben einen nicht-weißen Mann auf dem Boden fixiert: Mit dem Knie auf dem Hals drücken sie dem Opfer die Atemwege ab. Es ist dieselbe Pose, mit der in Minneapolis George Floyd umgebracht wurde.

Am selben Tag, vielleicht auch einen davor oder danach, verkündet der hessische Innenminister in Reaktion auf die zahlreichen „NSU 2.0“ Morddrohungen von Nazis im Umfeld seiner Polizei die Einrichtung einer Expertenkomission. Ihre Aufgabe ist nicht etwa die radikale Veränderung des Staatsapparates, oder eine Auseinandersetzung mit den Hintergründen und Bedingungen für die offen zur Schau gestellte Rechtsradikalität von Teilen der hessischen Polizei. Ihre Aufgabe ist auch nicht die Ermittlung im – oder Aufarbeitung vom – Fall NSU 2.0. Ihre Aufgabe ist die Wiederherstellung des Vertrauens in die hessische Polizei. Völlig unironisch lässt der CDU-Politiker Peter Beuth, seines Zeichens Innenminister des Landes Hessen, verlautbaren: „Das Ansehen der Polizei darf nicht länger unter dem Fehlverhalten Einzelner leiden.“ Es übertrifft sich die bürgerliche Gesellschaft in ihrer peinlichsten Vertreterin, der CDU Hessen, der politischen Heimat nicht nur von Peter Beuth, Volker Bouffier, Erika Steinbach, Roland Koch oder Heinz-Jürgen Irmer, sondern auch der politischen Kinderstube von Alexander Gauland (AfD), indem sich diese zu den antirassistischen Protesten der letzten Monate und zum NSU 2.0 in einer atemberaubenden Weise öffentlich äußert. In einem Schrieb, den die Partei als Pressemitteilung verstanden wissen will, und der nun inzwischen gelöscht zu sein scheint[1], ließ sie die Welt wissen, dass sie zwar individuellen Rassismus schlimm finde, es aber in Deutschland keinesfalls systemischen Rassismus gebe, ganz besonders nicht bei der hessischen Polizei. Auch heute noch, in einer gekürzten und entschärften Stellungnahme lässt die CDU Hessen verlautbaren:

„Der Vorwurf eines `latenten Rassismus` in den Reihen der Polizei, wie ihn die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken erhebt, verkennt die Realitäten und stellt unsere Beamtinnen und Beamten unter einen empörenden Generalverdacht. Die Hessische Polizei ist nicht rassistisch – auch nicht latent! Einzelfälle werden konsequent verfolgt, denn wir dulden keinen Rassismus in den Reihen unserer Sicherheitskräfte.“[2]

Es muss eine groteske Karikatur sein. Einem kafkaesken Kammerspiel gleich, wird die geneigt kritische Beobachterin hier im unendlichen Nexus, in einem Wechselspiel aus Wut und Fremdscham gefangengenommen. Für Faschist*innen im Staatsapparat herrscht Millieuschutz, mit strukturellem, institutionalisiertem Rassismus hat der NSU 2.0 für die hessische Landesregierung nichts zu tun. Es ist für sie zu allererst ein Imageschaden, der durch bessere digitale Ausstattung der hessischen Polizei und eine weitere Expert*innenkomission gelöst werden will. Während der bundesdeutsche Heimathorst Seehofer keine Studie über racial profiling will, wohl aber eine zur Gewalt gegen Polizist*innen, treten Bullen in Frankfurt auf wehrlose Kanax ein. Warum auch gegen sich selbst ermitteln, wenn man auch einfach seine Kennziffer verbergen kann. Das System schützt sich eben selbst, und weil es Tradition seit über 200 Jahren ist, gehören deutschnationale Mörderbanden eben dazu.


Mehr zum Thema findet ihr auch in meinem Beitrag für die Zeitungschrift Wissenschaft und Frieden 3/2020 hier.

[1] Ich habe ihn natürlich dokumentiert und hier hochgeladen.

[2] https://www.cdu-fraktion-hessen.de/presse/in-hessen-ist-kein-platz-fuer-rassismus/


Veröffentlicht am 19.8.2020, Aktualisiert am 20.8.2020.

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