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Ein Grund zur Freude, trotz alledem.

Kommentar zur Wahl von Joe Biden und Kamala Harris

Nun steht es fest. Die Kandidati*innen der Demokratischen Partei, Joe Biden und Kamala Harris, haben im Wettkampf um die 46. Präsident*innenschaft der Vereinigten Staaten von Amerika gesiegt. Völlig zurecht zeigen sich viele Linke über den Jubel ihrer Genoss*innen verwundert. Was soll aus einer linken Perspektive am Wahlsieg von Biden und Harris erfreulich sein? Immerhin sind beide stramm bürgerlich und zutiefst neoliberal. Nicht trotzdem, sondern gerade deshalb haben sie sich in der ebenso bürgerlichen wie zentristischen Demokratischen Partei zur Präsident*innenschaftskandidatur küren lassen können.

Joe Biden, der sich nun als Vereiniger, als Heiler der Wunden und Überwinder der Differenzen verstanden wissen will, als unser aller sympathischer Großvater, ist glühend neoliberal. Er grenzt sich immer wieder von linken Ideen ab, betont, dass er weder Sozialist noch Kommunist sei, betont, dass das jeder Verdacht, dass er ein Linker sei, sich mit Blick auf seine politische Laufbahn erübrige. Und Recht hat er. Er befürwortete diverse neoliberale Freihandelsabkommen und erteilte medicare for all, einem Konzept für eine solidarische kostenlose Krankenvollversicherung für Alle, eine deutliche Absage. Und Kamala Harris? Immerhin werden viele Medien nicht müde darin zu betonen, dass sie die erste Frau als Vizepräsidentin ist, die erste Schwarze Person außerdem, und die erste Person aus migrantisiertem Elternhaus. Eine kleine repräsentationspolitische Revolution, scheint es. In ihrer Rolle als Attoney General von Kalifornien verstand sich Harris selbst als „Top Cop“. Sie setzte eine scharfe Verfolgung von Drogendelikten durch, unterstützte eine vereinfachte Abschiebungen illegalisierter Menschen, und verhinderte 2015 einen Beschluss zur Untersuchung von Morden durch Polizist*innen. In trans*-Communities gewann Harris zweifelhafte Berühmtheit, indem sie trans*-Gesundheitsversorgung und Transition in US-Gefängnissen unterband, und trans*feminine Menschen in Männergefängnisse steckte. Nein, eine emanzipatorische, gar linke und soziale Politik, die alle eint, ist von den 46. Präsident*innen und ihrer Partei nicht zu erwarten.

Wie naheliegend da der verbreitete Reflex ist, die Wahl und ihren Ausgang zu relativieren! Dabei muss man nur für einen Moment ausblenden, dass alle vier Jahre in den USA das mächtigste politische Amt der Welt gewählt wird. In diesem spezifischen Fall war es eine Wahl zwischen einem rücksichtslosen Neoliberalismus und einem beschleunigten Weg in den Faschismus. Wenn man alles das für einen Moment ausblendet, dann ist es egal ob die 46. Präsident*innenschaft nun Biden oder Trump heißt. Mit der Wahl von Joe Biden und Kamala Harris dürfen wir trotz einiger unterkomplexer vulgärmarxistischer Gegenteilsbehauptungen in den nächsten vier Jahren in der Weltmacht USA keinen protofaschistischen Demokratieabbau erleben. Mit dem Sieg der Demokratischen Partei für die 46. Präsident*innenschaft können wir zumindest erwarten, dass einige Errungenschaften linker sozialer Kämpfe, sowohl in den USA als auch global, nicht eben so zunichte gemacht werden können. Es mag bitter sein, doch der Erhalt eines unerträglichen status quo durch die herrschenden Eliten ist besser, als protofaschistischer Umbau. Es verschafft linken, emanzipatorischen Kräften eine Atempause in ihren Abwehrkämpfen. Denn es macht für Schwarze Menschen, für Indigene und People of Color, für migrantisierte Menschen und für Queers in der Bewältigung ihres Alltags einen erheblichen Unterschied, ob sie ausgebeutet, verfolgt und beschimpft werden, und sich dessen erwehren müssen; oder ob sie das alles erleben müssen und sie zusätzlich dazu vom mächtigsten Politiker der Welt als Tiere bezeichnet werden, ihre Existenz- und Lebensberechtigung aus dem Weißen Haus heraus in Frage gestellt wird, und seine Anhänger*innenschaft dazu ermuntert wird, es ihm gleich zu tun. Die Betonung einer vermeintlichen Gleichgültigkeit gegenüber dem Ergebnis der US-Wahlen kommt einer Relativierung der Gewalt gegen Minderheiten und marginalisierten Gruppen gleich.

Sicher, Biden und Harris sind keine Kandidat*innen für die Revolution. Sie sind grauenhaft bürgerlich, Kapitalist*innen. Aber eigentlich sind wir uns doch einig, dass es der Widerstand der revolutionären Massen gegen die Verhältnisse ist, der uns in den Sozialismus führt, und nicht „gutes Regieren“ im bürgerlichen Klassenstaat. Dazu bedarf es einer Diskursverschiebung nach links, und eine organisierende, verbindende Klassenpolitik. Darum ist der Wahlsieg von Biden und Harris – trotz alledem – ein Grund zur Erleichterung und gar ein Grund zur Freude: Weil der fordernde Kampf an der Basis sich leichter kämpfen lässt, wenn wir von der Last der Abwehrkämpfe nicht vollends erdrückt werden.