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Von Kämpfen lernen: Vom Tag der Arbeit zum Tag der Befreiung und des Zorns

Der 8. Mai 1945 markiert die Kapitulation der Nationalsozialist*innen vor den Alliierten. Zweifelsohne ein Tag der Befreiung und das Ende einer Schreckensherrschaft. Es ist das Ende der Shoah, dem Genozid an den Europäischen Jüd*innen und vielen anderen marginalisierten Gruppen. Es ist jedoch, wie Brecht in seinem Aufhaltsamen Aufstieg des Arturo Ui zum Schluss postuliert, der Schoß fruchtbar noch, aus dem das kroch. Am 19. Februar 2020 wurden im hessischen Hanau Mercedes Kierpacz, Gökhan Gültekin, Ferhat Unvar, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz, Vili Viorel Păun, Kaloyan Velkov, Hamza Kurtović und Said Nesar Hashemi in einem rassistischen Terroranschlag ermordet. Der Haupttatort ist eine Shishabar, ein stigmatisierter Rückzugsort von Menschen mit Migrationserbe, von People of Color. In dem Land, in dem der Verfassungsschutz die Aufklärung des NSU aktiv verhindert, findet ein Anschlag an dem Ort statt, der von Behörden immer wieder zum Ziel von Kriminalisierungsversuchen und Schikanen gemacht wird. Der Hitlerfaschismus mag vorbei sein, marginalisierte Gruppen müssen aber auch noch am 75. Jahrestag der Befreiung Erniedrigung sowie die Aberkennung ihrer Menschenwürde ertragen und tagtäglich um ihr Leben fürchten. Der 19. Februar war für Menschen mit Rassismuserfahrung in Deutschland ein Tag kollektiver Erfahrung. Es hätte jede*n von uns treffen können. Wir waren alle gemeint. Aus dem Schock wurde Wut und Selbstorganisation. Seit dem 19. Februar findet in unzähligen lokalen, überregionalen und bundesweiten Netzwerken eine Selbstorganisation und Politisierung von völlig neuem Ausmaß statt.